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Solidarische Ökonomie – ein Kind der Krise
INTERVIEW VON CLAUDIA HÖSSINGER
„Da tut sich grad richtig was“, erzählt die junge Wiener Sozioökonomin von ihren Erfahrungen in Griechenland. Sie war Gastreferentin am Grünen Gemeindetag, der kürzlich in Linz stattfand. Die Menschen beginnen, das Wirtschaften selbst in die Hand zu nehmen. „Man glaubt, jeden Tag entsteht ein neues Projekt – wie die Schwammerl.“ Einerseits bedingt durch die ökonomische Not aber auch durch den Vertrauensverlust ins politische/ökonomische System. Einkaufskooperativen, Gemeinschaftsgärten, Tauschkreise, Zeitbanken, große Schenkmärkte entstanden ebenso wie selbstverwaltete Nachbarschaftszentren die täglich Veranstaltungen anbieten: Unterricht, Kinderbetreuung, Feste, Lernbetreuung, Filme, Theater, … In dieser Protestkultur entsteht viel widerständiges Potential, neu sind erste Ansätze der Selbstverwaltung etwa bei Produktionsstätten oder einer Zeitung. Aber auch neofaschistische Gruppen vernetzen sich und starten Initiativen (Lebensmittelverteilung).
oö. planet: Wird`s wieder so wie früher?
Lisa Mittendrein: Nein, wir sollen nicht auf die Vergangenheit verweisen wo es bspw. in den Dorfgemeinschaften besser funktioniert haben soll. Diese Zeiten waren auch geprägt von Feudalismus oder Ausbeutung während der industriellen Revolution. Hier gab es keinen Zusammenhang mit den Bedürfnissen der Menschen.
oö. planet: Kann´s das auch im Großen geben?
Lisa Mittendrein: Ja, es geht um die Bedürfnisse und Interessen aller Beteiligten. Es reicht nicht, nur von unten zu arbeiten. Groß und Klein müssen zusammen gedacht werden.
oö. planet: Was wäre auf politischer Ebene zu tun?
Lisa Mittendrein: Aufhören mit den schädlichen Subventionen des Gegenteils wie z.B. in der Landwirtschaft – das führt zu einer völligen Verzerrung. Bei den rechtlichen Rahmenbedingungen braucht es ein modernes Genossenschaftsrecht. Auf Gemeindeebene etwa neue Kriterien bei Auftragsvergaben.
oö. planet: Was brauchen Menschen um aktiv zu werden?
Lisa Mittendrein: Neben einem 40-Stunden- Job, Familie und anderen Verpflichtungen ist es schwierig. Solidarische Ökonomie ist ein Kind der Krise, außerhalb der Krise laufen wir Gefahr der Selbstausbeutung. Am Beispiel Argentinien wurde sichtbar, dass es Schritte zurück zur Bequemlichkeit gab, als die Krise wich. Sich zu beteiligen am wirtschaftspolitischen Diskurs benötigt viel Expertise. Das wiederum schließt Menschen vom Diskurs aus, dabei geht es um unser aller Leben. Projekte zu starten braucht auch Expertise. Von einander lernen, auszuprobieren , einladen und helfen lassen stehen im Vordergrund.
oö. planet: Was steht an?
Lisa Mittendrein: Politische Veränderungen und eine radikale Umverteilung werden erst dann passieren, wenn das Milieu heterogener wird und SÖ in die Mitte kommt. Jetzt trägt sie ein kleines, homogenes Milieu urbaner, gebildeter Menschen. „Wir müssen mit den Menschen in unserer Straße sprechen, verschiedene Milieus müssen zusammen arbeiten“, so der Aufruf von Lisa Mittendrein. Auch im Bildungssystem muss sich viel ändern: „Wir erziehen unsere Kinder, dass sie konkurrieren müssen um knappe Ressourcen – in der Bildung, um Arbeitsplätze. Z.B. bei der Aufnahme ins Gym, um Lehrstellen. In unserem Bildungssystem spiegelt sich unser Leistungsprinzip wieder. Wer nicht genug leistet bleibt auf der Strecke.“
ZUR PERSON:
Lisa Mittendrein, Soziologin und Sozioökonomin, Diplomarbeitsthema: Solidarische Ökonomie in der griechischen Krise. Attac-Vorstand. Inhaltliche Schwerpunkte Eurokrise, Griechenland, Finanzmärkte, Umverteilung. Ihr Motto: „If I can‘t dance, it‘s not my revolution!”