- Sozial & Gerecht
- Frieden & Sicherheit
- Menschenrechte
- Wirtschaft
- Zukunft der Arbeit
- Grüne Debatte
Nadine Mittempergher - Erwerbslosigkeit: „Massive Unterschiede zwischen Frauen und Männern“
Maria hat viel mit Langzeitarbeitslosen aus dem Handel und der Baubranche zu tun. Mit ihrer Hilfe versuchen ihre KlientInnen wieder in den Job einzusteigen. Die Kurse werden vom AMS gefördert und sind verpflichtend. Es gäbe viele, die schon aufgegeben hätten. Vor allem Männern und Frauen über 50 sei bewusst, dass der Wiedereinstieg in den Job sehr schwierig sei.
Auch Paula glaubt nicht, dass sie jemals wieder hinter der Kassa arbeiten wird. Zehn Jahre lang hat sie im Handel gearbeitet, stand vierzig Stunden die Woche im Geschäft. Dann kamen ihre Kinder. Damals hat sie sich dafür entschieden, sich um Haushalt und Kinder zu kümmern, während ihr Mann weiter seinem Vollzeitjob nachging. Nach fünfzehn Jahren Erwerbspause wollte sie wieder in den Job einsteigen, schrieb unzählige Bewerbungen und landete schließlich in Marias Kurs. Dort lernt sie, „wie der Arbeitsmarkt heutzutage tickt.“ Auf Marias Rat hin macht sie jetzt einen Computerkurs, denkt an Umschulung. Chancen rechnet sie sich nicht viele aus. „Die Hoffnung nicht aufgeben“, das ist ihr aber trotz allem wichtig.
„Frauen sind gewohnt, schlecht bezahlte Arbeit zu leisten“
Marias Kollegin Clara meint, dass Paulas Geschichte typisch sei für erwerbslose Frauen in Österreich. Denn die Sorgearbeit, also Kinderbetreuung und Haushalt, sei bei ihren KlientInnen zum Großteil immer noch Frauensache. Dennoch sagt sie: „Frauen sind generell flexibler. Wenn ich zum Beispiel einem erwerbslosen Maurer in meinem Kurs eine Stelle als Hilfsarbeiter anbiete, wird die abgelehnt. Bei einer Frau ist das anders. Da höre ich oft: Ich mach alles, Hauptsache ich habe eine Arbeit. Frauen sind es gewohnt, unbezahlte oder schlecht bezahlte Arbeit zu leisten und lassen sich deshalb leichter auf irgendwelche Jobs ein“, schließt Clara daraus.
Viele Frauen haben vor ihrer Erwerbslosigkeit in prekären Arbeitsverhältnissen und/oder Teilzeitarbeit gearbeitet. Im Jahr 2016 arbeiteten 47,7 % der Frauen in Teilzeit (Männer: 11,8 %). Das bedeutet oft finanzielle Abhängigkeit von PartnerIn oder Familie und ein deutlich höheres Armutsrisiko. Und im Alter wartet auf Frauen eine deutlich niedrigere Pension. Die Unterschiede zwischen Männern und Frauen hängen aber auch davon ab, in welchem Beruf, welcher Branche und welcher Position diese arbeiten.
Mal ein paar Monate Pause machen
Sina war jahrelang Projektleiterin in einem Architekturbüro und hat ihren Job verloren, weil die Firma in Konkurs gegangen ist. Sie ist zwar als arbeitssuchend gemeldet, sei aber gerade ganz froh darüber, nicht arbeiten zu müssen. Den Haushalt und die Verantwortung für die Kinder hat sie sich immer mit ihrem Mann aufgeteilt, das sei auch jetzt nicht anders. Den Wiedereinstieg in den Job sieht sie als kein Problem, sie könne auf eine erfolgreiche Karriere und gute Kontakte aufbauen. Aber jetzt will sie erstmal ein paar Monate Pause machen vom stressigen Arbeitsalltag. Im Notfall, wirft sie ein, könne sie sich immer noch selbstständig machen. Sinas selbst-bewusste Einstellung können sich aber nur wenige leisten.
Das Gefühl, nutzlos zu sein
Die Mehrheit der über eine lange Dauer erwerbslosen Frauen und Männer resigniert, denn Erwerbsarbeit bringt nicht nur Geld, sondern ist auch an gesellschaftlichen Status, Selbstbewusstsein und soziale Kontakte geknüpft. „Die Nutzlosigkeit von Arbeitslosen, das Gefühl, auf den Misthaufen geworfen zu sein – das ist für Arbeitslose das unerträglichste Gefühl“, schrieb Marie Jahoda. Die Soziologin ist eine der AutorInnen der Studie „Die Arbeitslosen von Marienthal“. Die Forschungsarbeit aus den 1930er Jahren gilt heute als sozialwissenschaftliches Standardwerk. Lazarsfeld, Jahoda und Zeisel unterschieden in der Studie drei Haltungstypen: „Die Ungebrochenen“ (23 Prozent der Untersuchten), „Die Resignierten“ (69 Prozent) und „die Gebrochenen“ (8 Prozent). Auf lange Sicht verloren die meisten Untersuchten die Hoffnung, je wieder eine Arbeit zu finden. Die Ergebnisse dieser über achtzig Jahre alten Untersuchung lassen sich nicht eins zu eins auf die heutige Situation umlegen, aber auch heutige Studien zeigen deutlich das Ausmaß der Belastung von Arbeitslosen.
Effekte der Arbeitslosigkeit
Ein Projekt der Uni Wien aus dem Jahr 2009 mit dem Titel „Effekte der Arbeitslosigkeit“ hat in einem Vergleich zwischen Erwerbslosen und Erwerbstätigen herausgefunden, dass Erwerbslose viel stärker an Krankheiten leiden. Und noch etwas springt ins Auge: Arbeitslose Frauen zeigen deutlichere gesundheitliche Beschwerden und sind stärker von Depression
und Unglücklichsein betroffen als Männer. Frauen erleben Erwerbslosigkeit also anders als Männer. Wie genau diese Unterschiede entstehen und wie stark neben dem Geschlecht auch andere Faktoren wie Alter, Branche, Herkunft oder soziales Umfeld eine Rolle spielen, dazu gibt es (noch) keine aktuellen, breit angelegten Untersuchungen.
Nadine Mittempergher ist freie Journalistin.