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Kovacs - Erfahrungen eines Straßenwahlkämpfers
Du hast jetzt ein Jahr Straßenwahlkampf, Beisl-Tour, Bädertour hinter Dir, davor war bereits der Wiener Landtagswahlkampf. Offensichtlich bist Du überzeugt, dass es etwas bringt. Was ist das Besondere an dieser Art der politischen Kommunikation?
Ich bin sogar felsenfest davon überzeugt, dass es etwas bringt. Der direkte Kontakt mit den Menschen ist immer noch am Wertvollsten. Er kann ein "Türöffner" sein, sprich Menschen die sonst grüne Artikel sofort wegklicken, Artikel in Zeitungen erst gar nicht lesen und sich auf social media in der großen Blase außerhalb der grünen Welt aufhalten, können so erreicht werden. Dabei darf man/frau nicht immer gleich erwarten nur aufgrund eines Gespräches, eines ersten Kontaktes, eine neue Wähler_innenstimme zu erhalten, aber es ist ein Anfang. Ein Schritt aufeinander zu, bei dem wir viel für unsere politische Arbeit mitnehmen können. Wo drückt der Schuh? Was bewegt die Menschen aktuell? Deckt sich unsere Einschätzung der Probleme und Herausforderungen mit dem auf der Straße kommunizierten Handlungsbedarf und wie können wir da zusammen finden.
Ist es Dir je gelungen, in einem Gespräch eine/n überzeugte/n FPÖ-WählerIn zu eine/r grün oder zumindest VdB WählerIn zu machen? Mit welchen Argumenten?
So unrealistisch wie das für manche klingen mag, aber ja natürlich geht das. Ein Beispiel: Ein junger Mann agitiert mich an, dass es so ungerecht ist, dass die, die von Sozialhilfe leben, genauso viel bekommen wie jene, die arbeiten. Schuld daran für ihn sind die Flüchtlinge. So hat das er das in der Zeitung gelesen und so liest er das auch immer bei Strache auf Facebook. Ich konfrontiere ihn daraufhin mit Fakten. Mit der ungerechten Verteilung von Vermögen (3% der reichsten besitzen mehr als die 97% der anderen), der Entwicklungen am Arbeitsmarkt bevor noch die Fluchtbewegungen eingesetzt haben und stelle die wahrscheinlich entscheidenen Frage: "Was hat auch nur ein/e Arbeiter/in davon, wenn man jenen die noch weniger haben, noch etwas wegnimmt?" Natürlich liefere ich auch gleich eine Lösung bzw. gebe eine Perspektive, wie sich die Situation für die betroffene Gruppe wirklich verbessern kann: Steuern auf Arbeit runter. Steuern auf Vermögen rauf. Das war wie ein "Eisbrecher" in dem viertelstündigen Gespräch. Er hat danach um meine Nummer gebeten und sich in Folge auch schon mehrfach mit Anliegen bei mir gemeldet. Ob er nun grün wählt, kann ich nicht sagen, aber ich könnte es mir gut vorstellen und allein das ist schon ein verdammt gutes Gefühl und motiviert mich unheimlich für viele zukünftige Gespräche.
Würdest Du sagen, dass das Hauptziel des Straßenwahlkampfes das Überzeugen von politischen GegnerInnen ist? Oder geht es mehr um die Mobilisierung der Leute, die ohnehin schon der gleichen Meinung sind aber nur noch einen Ruck brauchen, um den Weg ins Wahllokal auf sich zu nehmen?
Das kommt auf den jeweiligen Wahlkampf und den jeweiligen Moment in der Kampagne an. In der Endphase von Wahlkämpfen geht es natürlich vorrangig um Mobilisierung des eigenen Potentials. Bei Zwischenkampagnen kann es wiederum prioritäres Ziel sein, neue Wähler_innensegmente zu erschließen.
Die große Polarisierung, von der viel die Rede ist, zeigt sich vor allem im Internet, Stichwort Hasspostings. Wurdest Du mit der Aggression, die man aus dem Netz kennt, auch auf der Straße konfrontiert? Oder haben sich die Menschen doch wieder unter Kontrolle, wenn sie einem Angesicht zu Angesicht gegenüberstehen?
Das social media Zeitalter hat sicher zu einer gewissen Enthemmung beigetragen. Was ich auf Facebook und Co., aber auch schon in Foren und ähnlichem an Grauslichkeiten und Abartigkeiten gelesen habe, hielt ich noch vor zehn Jahren für nahezu unmöglich. Da wird offen gehetzt und diffamiert, bis hin zu Mordaufrufen und Wiederbetätigung. Hier muss die Politik reagieren und viel klarere und auch härte Regeln und Durchgriffsrechte erkämpfen. Denn gelingt ihr das nicht, führt dieser Hass im Netz auch mehr und mehr zu einer gewissen Abgestumpftheit und einer allgemeinen Verrohung der Gesellschaft. Im Straßenwahlkampf hat das zum Glück noch bei weitem nicht diese Dimension erreicht, auch wenn natürlich auch da einzelne Grauslichkeiten und Beschimpfungen vorkommen.
Du hast ja viele Gespräche mit Hofer-AnhängerInnen geführt. Was sind die wichtigsten Themen gewesen?
Leider begegnen einem viele Menschen schon mit einer für sie gefestigten Meinung der Welt, die sie am liebsten undiskutiert lassen wollen. Deshalb ist es eine ziemliche Challenge für uns Straßenwahlkämpfer überhaupt mal in ein längeres Gespräch mit einem ergebnisoffenen Ausgang zu kommen. Da gilt es in erster Linie einmal den Fuß in die Tür zu bekommen, und über ein sympathisches Auftreten, einen coolen Spruch, einen passenden Wiener Schmäh oder was auch immer den oben schon erwähnten "Eisbrecher" zu erzielen. Hat man die Menschen mal soweit, dass sie einem in Ruhe und bewusst zuhören, hat man/frau schon halb gewonnen. ;) Themen: Zukunftsängste, leistbares Leben, Flüchtlinge. Also ähnliche Themen, die auch bei Grünwähler_innen häufig angesprochen werden, allerdings anders konnotiert.
Du hast Dich sehr ausführlich mit dem Thema Mindestsicherung beschäftigt. Welche Rolle spielte das in Deinen Gesprächen mit Hofer- oder FPÖ-WählerInnen? Wird die eigene ökonomische Situation angesprochen und als Motivation für ein Wahlverhalten genannt?
Ganz klar JA. Und ich bin auch ehrlich überrascht, wie viele mich auch noch im Van der Bellen Wahlkampf auf der Straße auf meinen Selbstversuch angesprochen haben. "Sind sie nicht der, der ein Monat von Mindestsicherung gelebt hat?" hörte ich nicht nur einmal. Von einem Großteil bekam ich positives Feedback, ja nahezu Applaus für diese Aktion. Die eigene ökonomische Situation spielt selbstverständlich eine riesige Rolle für die Menschen. Alles kreist um die Fragen: Kann ich mir mein Leben in Zukunft leisten? Finde ich Arbeit? Erhalte ich ein Einkommen zum Auskommen? Wie soll ich mir die Lebensmittel und die Miete leisten? Mit meinem Selbstversuch habe ich bei vielen außerhalb der grünen Blase einen gewissen Nerv getroffen. Ich habe seitdem auf social media und auch auf der Straße zu vielen Menschen Kontakt, die davor mit grün nicht wirklich viel anfangen konnten. Vielleicht können sie es auch immer noch nicht. Aber sie haben das Gefühl gewonnen, da gibt es jemanden auf der Seite, der sich für uns einsetzt. Ein Anfang.
Würdest Du sagen, dass die FPÖ-WählerInnen „prekär“ leben, oder sind es eher jene, die etwas erreicht und Angst vor Verlust haben, oder einfach nicht teilen wollen?
Die FPÖ Wähler_innen sind die, die von ihrer Partei jedenfalls am meisten betrogen werden. Denn die FPÖ ist jene Partei, die sich zwar soziale Heimatpartei nennt, aber zumeist als Erste bei Fuß steht, wenn die konservativen Kräfte im Land den Sozialstaat aushöhlen wollen. Es muss uns gelingen dies noch viel klarer zu machen, dass die FPÖ nämlich in Wahrheit neben dem obersten Interesse, dass es dem eigenen Geldbörsel gut geht, hauptsächlich eine Politik für Superreiche und Großindustrielle fährt. Und in diesem Segment unterscheidet sie auch nicht zwischen In-und Ausländer.
Kannst Du etwas mit der Bezeichnung „Working Class“, „Arbeiterklasse“ für die WählerInnen der FPÖ anfangen? Was ist für Dich bei diesem Begriff das wesentliche Element? Geht es um Geld, um Bildung, um Habitus?
Ich verwehre mich gegen diese klassische Einteilung in Klassen und Bünde. Das ist sowas von voriges Jahrhundert. Ich möchte lesen, dass die Grünen für alle da sind, denen trotz Arbeit zu wenig vom Leben bleibt. Darunter fallen Arbeiter_innen genauso wie Angestellte und Selbstständige und viele mehr. Wir müssen uns um eine gerechte Verteilung von Vermögen kümmern, Steuergerechtigkeit und Chancengerechtigkeit schaffen. Für alle Menschen. Und freilich müssen wir auch all jenen helfen, die hingefallen sind, dass sie wieder aufkommen und selbst im Leben stehen können.
Welche Rolle spielen Fremdenfeindlichkeit und Rassismus für die WählerInnen? Kommt man mit anderen Theme bei klassischen FPÖ-WählerInnen überhaupt durch?
Wir reden schon wieder viel zu viel über die FPÖ. Wenn wir unsere Arbeit und unsere Antworten immer nur an ihr orientieren, als wäre sie das Zentrum der Welt, bekommt sie die Aufmerksamkeit, die sie gar nicht verdient. Wir müssen unsere eigenen Antworten geben und dabei so laut und klar sein, dass sie von den Menschen gehört werden. Rassismus und Fremdenfeindlichkeit nimmt ab, wenn Integration funktioniert, unser Bildungssystem endlich reformiert wird und Gesundheits-, Sozial- und Pensionssystem zukunftsfit gemacht werden. Denn nur soziale Sicherheit, Bildung und gesellschaftlicher Zusammenhalt schützen vor Extremen und wahren die Demokratie.
Es gibt eine Richtungsdiskussion bei den Grünen, die in etwa so aussieht: Die einen sagen, wir sind eine linke Partei, wir müssen versuchen, von den ArbeiterInnen gewählt zu werden. Die anderen sagen: Natürlich ist eines unserer ganz wichtigen Themen die Absicherung jener, denen es am Schlechtesten geht. Aber gewählt werden wir eher von Bürgerlichen, religiös Motivierten oder gut Ausgebildeten. Die Grünen Themen Umwelt, Verkehr, Gleichberechtigung, Menschenrechte können wir nicht aufgeben. Diese Themen verhindern aber, dass wir bei den FPÖ-Wählern (Männer!) attraktiv sind, deshalb sollten wir es gar nicht versuchen. Was ist Deine Meinung zu so einem Richtungsstreit?
Glaubt mir, wir Grüne können auch für junge Männer eine attraktive Wahloption werden. Davon bin ich überzeugt. Wir müssen in dem was wir vertreten glaubhaft sein. Damit wir das sind, brauchen wir eine weitere Öffnung der Partei. Im Van der Bellen Wahlkampf ist dies eindrucksvoll gelungen. Jetzt gilt es, dieses Potential als "Schatz" zu heben. Je mehr Menschen wir davon überzeugen können, auch mit uns Grünen "ein Stück des Weges gemeinsam zu gehen", desto erfolgreicher werden wir in der Zukunft sein. Wir müssen unsere Botschaften klar und deutlich anbringen und müssen die Sprache der Menschen sprechen, ohne den Menschen gleich nach dem Mund zu reden. Wir brauchen Menschen, die im Bierzelt und beim burgenländischen Heurigen reüssieren können, wie Menschen die bei akademischen Diskussionen die Nase vorne haben. Und zur Richtungsdiskussion ganz allgemein: Heute gilt man ja schon als links, wenn man für Menschenrechte und Demokratie eintritt. Entscheidend ist, dass wir mit unseren politischen Zielen ein gerechteres Österreich und ein gerechteres Europa verfolgen. Solidarität, Chancengerechtigkeit, Selbstbestimmung, Freiheit und Demokratie sind hohe Güter, aber wie man mehr und mehr sieht nicht in Stein gemeißelt. Wir müssen Tag für Tag darum kämpfen. Ich werde darum kämpfen. Mit Linken und mit Bürgerlichen gemeinsam. Und allen anderen, die bereit sind, ein Stück des Weges mit uns zu gehen. ;)