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Der Traum vom Guten Leben - Barbara Notheggers „Sieben Stock Dorf“
Es ist ein Traum, den sie mit einer großen Zahl von Menschen teilt, die heute aus irgendeinem Grund in der Stadt leben. Ruhe, Erholung und ein gesundes Sozialleben werden heute vielfach mit dem Leben am Land assoziiert, während die Großstadt eher mit „laut“, „schmutzig“, „stressig“ oder sogar „gefährlich“ in Verbindung gebracht wird.
Als LeserIn begleiten wir die Autorin von dem Moment an, als sie von ihrer ersten Schwangerschaft erfährt und damit ihre ganze (Wohn-)Umgebung in einem neuen Licht sieht. Plötzlich ist die Altbauwohnung zu dunkel, es fällt auf, dass vor dem Haustor die Gefahren des Autoverkehrs lauern und die Freiheit der Kinder an den eigenen vier Wänden endet.
Idyllisches Landleben?
Freiheit. Das ist der Schlüsselbegriff in diesem Buch, das eine so oft erlebte Geschichte erzählt: Eine junge Familie denkt alle Möglichkeiten durch, vom selbst gebauten Häuschen am Land über die Wohnung am Stadtrand bis hin zur innerstädtischen Bleibe mit Dachterrasse. Wo kann man mit Kindern glücklich werden? Der Traum vom Haus am Land endet, als das junge Paar an ihrem Sehnsuchtsort auf einem ruhigen Bankerl sitzt und bemerken, wie nah die Nachbarhäuser bereits herangerückt sind. Die Gleichgesinnten, die sich hier Ruhe und Natur im Eigenheim erkaufen wollen, zerstören den Ort der Erholung. Da wollen sie nicht mitmachen.
Die Wohnungssuche, egal ob Eigentum oder Miete, scheitert an der grundsätzlichen Nichtvereinbarkeit von Angebot und Nachfrage, von Preis und finanzieller Leistbarkeit. An dieser Stelle verlässt die Geschichte die bekannten Bahnen, die letztlich vielleicht zum Kompromiss-Einfamilienhaus mit 150qm Grund im Speckgürtel geführt hätten, und etwas Neues und anderes taucht als Möglichkeit auf: Gemeinschaftliches Wohnen.
Die Erweiterung des Horizonts
Bei einem zufälligen Besuch in einem Wohnprojekt in München stellt die Autorin fest: „Die Atmosphäre ist so anders hier.“ Gemeinsam genutzte und verwaltete Gärten, Dachterrassen, ein Kinderspielraum, Kreativräume und Werkstätten, sowie eine Art dörflicher Gemeinschaft der BewohnerInnen inmitten der Großstadt scheinen plötzlich wie die logische Antwort auf alle Wünsche und Bedürfnisse.
Für Barbara Nothegger ist der Weg ins eigene Wohnprojekt allerdings so weit und steinig, wie für uns LeserInnen amüsant und informativ. Wir sind dabei, wenn die Autorin aus Abneigung vor einem Gruppentanz oder einem nordafrikanischen Kanon die Flucht ergreift, wenn sie lernt über ihren Schatten zu springen und „Nein“ zu einer der vielen Aufgaben zu sagen, und wenn sie von Fall zu Fall einmal ihre Privatsphäre, ein anderes Mal aber das Gemeinsame verteidigt.
Die eigenen Emotionen werden selbstkritisch analysiert und reflektiert und die Schonungslosigkeit sich selbst und ihren MitbewohnerInnen gegenüber lässt das Erzählte glaubwürdig und nachvollziehbar werden. Wohl auch wegen dieser zum Teil drastischen Schilderungen werden nicht wenige Menschen nach der Lektüre mit zufriedenem Lächeln mit den Fingerkuppen über die eigene meterhohe Gartenmauer oder die Fensterläden streichen und heilfroh sein, sich nicht auf so ein „Wohnexperiment für eine bessere Zukunft“ eingelassen zu haben. Viele werden nicht verstehen, warum sie sich die permanenten und oft mühsamen Auseinandersetzungen mit anderen Menschen antun sollen, wenn sich doch die eigene Freiheit so viel besser im Privaten verwirklichen lässt.
Barbara Nothegger versucht nicht zu überzeugen oder zu bekehren, sie beschreibt neben ihrer eigenen Geschichte viele verschiedene historische Wohnexperimente und auch deren extreme Auswüchse (Stichwort Kommunen); sie erzählt von Anspruch und Realität des gemeinschaftlichen Wohnens und ist selbst immer wieder an der Kippe zur Erkenntnis, dass das für sie, trotz netter Dachterrasse und toller Gemeinschaftsküche, womöglich doch nichts ist. Warum sie dennoch dran bleibt und sich ein Leben „ohne Haus und Gemeinschaft“ heute nicht mehr vorstellen kann, hat wohl viel damit zu tun, dass sie sich auf eine Neudefinition des Freiheitsbegriffes eingelassen hat.
Ein selbstbestimmtes Leben in der Gemeinschaft
So ist das Buch letztlich eine Art Bildungsroman, in dem der konventionelle Traum vom selbstbestimmten Leben eine innovative Verwirklichung findet. Statt vor den anderen Menschen und der Geschäftigkeit der Stadt aufs Land, aufs eigene Grundstück zu flüchten und einen Zaun hochzuziehen, wird die eigene Freiheit in einer Gemeinschaft und in einer außergewöhnlichen Offenheit zur Welt verwirklicht.
Besonders deutlich wird diese Verbindung zur Freiheit, wenn das Leben der Kinder im Wohnprojekt beschrieben wird. Und in einem kurzen Kapitel am Ende des Buches, wo Nothegger in ihrer üblichen Mischung aus selbst Erlebtem und gut Recherchiertem über ältere Menschen in Wohnprojekten schreibt. Dabei lässt sie den 78jährigen Henning Scherf zu Wort kommen: „Unser Haus ist wie ein Netz, das es uns ermöglicht, den Alltag bis zuletzt gemeinsam und trotzdem selbstbestimmt zu leben.“
Sieben Stock Dorf von Barbara Nothegger ist im Residenz Verlag erschienen.
Georg Maißer leitet die Medienarbeit der Grünen Bildungswerkstatt.