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Andreas Novy - Das Gute Leben für alle ist ein linkes Konzept
Meine Antwort ist kurz: Ja, insofern die Grünen Teil der breiten, pluralistischen Bewegung sind, die sich für ein gutes Leben für alle einsetzt. Eine Grüne Partei muss bestrebt sein, durch politische Kleinarbeit Rahmenbedingungen für eine nachhaltige und solidarische Produktions- und Lebensweise zu schaffen. Ökologisch leben ist keine Privatangelegenheit, sondern nur in Gesellschaft und Natur eingebettet möglich. Und wer immer sich am guten Leben aller und nicht nur der Mächtigen, Vermögensbesitzenden und anderen Privilegierten orientiert, ist links in der ursprünglichen, aus der Französischen Revolution kommenden Bedeutung: Die Revolution 1789 war für die Herrschenden ein Skandal, eine Anmaßung: Die Tochter der Magd und die Tochter der Königin seien gleich –so die kulturrevolutionäre Behauptung der Linken in der Nationalversammlung. Die Gleichheit der Menschen wurde von der Rechten, den konservativen und reaktionären Verteidigern von Krone und Privileg in Wort und Tat bekämpft. An diese Gründungserzählung anschließend haben historisch drei Bewegungen zur Linken beigetragen.
Im 19. Jahrhundert kämpfte der Liberalismus gegen den Adel und für Bürger- und Menschenrechte. Wiewohl der Liberalismus immer eine elitäre Ideologie war, kann selbst von doktrinären Neoliberalen wie Friedrich Hayek gelernt werden, wenn es um die Vorzüge von Wahlfreiheit, Nonkonformismus und Privatsphäre geht. Ein Gemeinwesen ist nur dann links, wenn es individuelle Freiheiten fördert – aber eben nicht nur, wie bei Hayek und den meisten Liberalen, für wenige. Darin unterscheiden sich Grüne, weil es eben darum geht, Freiheit für alle zu ermöglichen – und dies geht nicht bei extremer Konzentration der Vermögen. Es geht nicht um verallgemeinerten Egoismus, um grenzenlose Wahlfreiheit, sondern um ein Gemeinwesen, in dem die freie Entwicklung eines jeden die Bedingung der freien Entwicklung aller ist.
Die zweite Bewegung, die zum guten Leben für alle beitrug, war die Arbeiterbewegung, die zusammen mit der Sozialdemokratie das 20. Jahrhundert prägte. Beide kämpften für die Verallgemeinerung der bürgerlichen Freiheiten und der Konsummöglichkeiten. Aus ArbeiterInnen sollten BürgerInnen werden. Demokratie war die politische Forderung, denn nur zögerlich öffneten die Liberalen das Wahlrecht für Besitzlose und Frauen. Soziale Absicherung und Teilhabe an der Konsumgesellschaft waren die sozialökonomischen Forderungen. Die Rechten – Konservative, Faschisten und die meisten Liberalen – widersetzten sich bis zur Machtergreifung der Nationalsozialisten und dem Zweiten Weltkrieg einer substanziellen Chancengleichheit. Erst der Horror des Krieges und die Realität des Kalten Krieges brachten die Rechten zum Einlenken. Der Wohlfahrtskapitalismus war für einige Jahrzehnte ein historischer Kompromiss, dem auch die Rechten zustimmten. Bis in die 1970er Jahre erweiterten Massenkonsum und Wohlfahrtsstaat für große Bevölkerungsteile in den reichen Ländern die Teilhabechancen. Doch schon damals kritisierten die Grünen die ökologischen Folgen dieser Produktionsweise und die bevormundenden, oftmals undemokratischen Strukturen von Sozialstaat und Sozialpartnerschaft. Gleichzeitig sind die Grünen in Österreich bis heute die stärkste parteipolitische Stimme gegen Sozialabbau und für Chancengerechtigkeit, einem Kernmerkmal von links.
Die dritte Bewegung ist die Umweltbewegung. 1973 veröffentlichte der Club of Rome seine „Grenzen des Wachstums“. Die Begrenztheit des Planeten und seiner Ressourcen kann auch reaktionär gedeutet werden. Das tat schon Malthus im 19. Jahrhundert. Und auch heute fordern manche Ökologiebewegte Bevölkerungs- und Migrationskontrollen sowie eine Öko-Diktatur der Experten. In der Tat stellt die Ökologie die Linken insbesondere in den reichen, Ressourcen verschwendenden Weltregionen vor eine große Herausforderung. Kapitalistische Modernisierung hat zwar Wohlstand für einen Großteil der Menschen in den reichen Ländern geschaffen, sie untergräbt aber gleichzeitig die Lebensgrundlagen aller. Der westliche Lebensstil ist nicht auf sieben Milliarden Menschen verallgemeinerbar. Daher muss die Veränderung der Lebens- und Produktionsweise bei uns beginnen – sie ist eine Hausaufgabe, für Gemeinden, Regionen und das ganze Land. Der ökologische Fußabdruck vor Ort muss deutlich reduziert werden. Diese globale Verantwortung wahrzunehmen ist links, weil nur so möglich ist, dass alle Menschen gut leben können.
Das hat weitreichende Konsequenzen, an denen sich die weiterhin bestehende Bedeutung von links und rechts zeigen lässt: Trump – und insbesondere seine finanzstarken Unterstützer - sind weit weniger irrational, als gemeinhin angenommen. Das Programm der US-Republikaner, so wie vieler rechter Parteien in Europa, basiert auf der Überzeugung, dass „wir“ unsere nicht-nachhaltige Lebensweise verteidigen müssen – durch das Ausnützen unserer Marktmacht und, wo das nicht reicht, auch mit polizeilichen und militärischen Mitteln. Mit unterschiedlichen Argumenten und Schwerpunktsetzungen akzeptieren die diversen ausgrenzend-autoritären Bewegungen bis heute nicht die universelle Gleichheit aller Menschen. De facto oder sogar programmatisch wird davon ausgegangen, „wir“ seien besser und anders zu behandeln als „die anderen“.
Nichts bräuchte es heute gegen den Rechtsruck dringender als eine Bewegung, die das Beste aus Liberalismus, Sozialdemokratie und Ökologiebewegung verbindet, um eine Zivilisation für alle zu schaffen, also ein Gemeinwesen, das inklusiv und resilient ist. Angesichts der Radikalisierung rechter Bewegungen ist es eine zentrale Aufgabe grüner Politik, konkrete Alternativen eines guten Lebens zu entwerfen, die sich nicht auf das reaktionäre Verteidigen unserer Konsumgewohnheiten, allen voran das Auto, reduzieren. Es braucht eine Neudefinition von Lebensqualität im Sinne geglückter Weltbeziehung –durch Projekte, die Mittelschule und Gymnasium in Dialog bringen, durch energieautarke Gemeinden, durch die erfolgreiche Integration von Schutzsuchenden. Die Potentiale solidarischen Zusammenlebens aufzuzeigen und politisch zu gestalten ist links – eben weil sie Ausgrenzung und Autoritarismus den Boden entziehen und zeigen: Gut leben muss nicht auf Kosten anderer erfolgen.